IM GEDENKEN…
an die Menschen, die bis Kriegsende in einem Wohnlager für Zwangsarbeiter*innen und in einem sogenannten „Ausländerkrankenhaus“ auf dem heutigen Gelände der Albert Schweitzer
Stiftung – Wohnen & Betreuen untergebracht waren. Ein historischer Blick anhand von Einzelschicksalen.
Das Wohnlager für Zwangsarbeiter*innen
In der Bahnhofstraße in Berlin-Blankenburg betrieb die ehemalige Reichshauptstadt Berlin im Zweiten Weltkrieg spätestens seit September 1942 ein so genanntes „Wohnlager für auswärtige Arbeiter“. Die Stadt brachte darin Zwangsarbeiter*innen unter, die etwa bei der BVG, der Gasversorgung, auf dem Bau oder in der Müllbeseitigung arbeiten mussten. Das Lager war für 1.720 Plätze geplant, es dürfte jedoch völlig überfüllt gewesen sein. Insgesamt könnten in dieser Zeit 4.000 Zivilist*innen dort untergebracht worden sein.
Die Bewohner*innen kamen vor allem aus Osteuropa, insbesondere aus der ehemaligen Sowjetunion. Personen jeden Alters, vom Säugling bis zur Greisin, und auch Ehepaare lebten dort unter widrigsten Umständen. Viele fanden durch Schwäche und Krankheiten den Tod. Zudem erlebte Blankenburg mehrere Fliegerangriffe, denen mindestens 13 Menschen zum Opfer fielen.
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Bewohner*innen und ihre Schicksale
Die 26-jährige Elena A. aus der Ukraine wurde als ungelernte Arbeiterin bei der BVG eingestellt. Sie war verheiratet und wurde schwanger. Daraufhin wurde sie als „nicht mehr einsatzfähig“ beschrieben. Ihr wurde gekündigt, sie durfte nur noch drei Tage im Wohnlager verbleiben. Ein Kosakenchor, der zu Propagandazwecken eingesetzt war, fragte sie wegen ihres vorherigen Berufs als Sängerin an. Ob Elena A. tatsächlich zum Kosakenchor wechseln konnte, ist nicht bekannt. In der Regel mussten „Ostarbeiterinnen“ bis kurz vor der Entbindung arbeiten, es wurde keine Rücksicht genommen.
Im Wohnlager Blankenburg lebten und verstarben auch Kinder: Im August 1944 kam ein einjähriges Kind aus Russland an einer „Lungen- und Darmtuberkulose, hämatogenen Aussaat und Auszehrung“ um. Leokadia T. hatte am 18. April 1944 in Berlin-Buch ihren Sohn Martin geboren. Er verstarb kurz vor Kriegsende. Als Todesursache wurden Lungenentzündung und Kreislaufschwäche angegeben.
Der aus Polen stammende Bogdan B. kam als eines von vielen Kindern nach Blankenburg. Beim Warschauer Aufstand wurde seine Mutter am 12. August 1944 zusammen mit dem Jungen in das Konzentrationslager Auschwitz gebracht. Kurz vor Kriegsende wurde das Lager evakuiert, am 11. Januar 1945 wurden 114 polnische Frauen und Kinder nach Berlin bzw. in das Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht. Bogdan B. kam nach Blankenburg und musste in Berlin dabei helfen, Trümmer zu beseitigen. Bei Bombenangriffen verwehrte man ihm den Zutritt zu den Bunkern und er versteckte sich zwischen den Trümmern. Am 22. April 1945 wurden er und seine Mutter befreit. Sie gingen nach Warschau zurück.
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Interview mit Bogdan B. mit dem NS-Dokumentationszentrum Zwangsarbeit in Berlin (2019).
Das Zwangsarbeitssystem war in erster Linie an kräftigen, jungen Leuten interessiert. Es wurden jedoch auch ältere Personen verschleppt, wenn diese noch zu „gebrauchen“ waren. So war in Blankenburg die verwitwete Russin Domka T. untergebracht. Im Alter von 76 Jahren verstarb sie an einer Herzmuskelschwäche.
Der 24-jährige Iwan P. aus dem Kreis Lemberg, dem heutigen Lwiw, wurde als Landarbeiter eingesetzt. Am 31. Dezember 1943 überfi el er, laut Protokoll der Staatspolizei, im alkoholisierten Zustand einen Lagerwächter. Am 27. Juli 1944 wurde er nach Pölitz, einem Außenlager des Konzentrationslagers Stutthof verbracht. Dort verliert sich jede Spur.
Das Ausländerkrankenhaus
Die Nationalsozialisten separierten ab 1940 die Krankenversorgung der Zwangsarbeiter*innen von der allgemeinen Krankenversorgung. Mit dem verstärkten Einsatz von „Ostarbeitern“ wurden ab 1942 sogenannte „Ausländerkrankenhäuser“ eingerichtet. Auf die normalen Mindeststandards achteten die Betreiber oft nicht. Von Anfang Juli bis Oktober 1943 wurde in den Gebäuden am Standort Blankenburg ein „Hilfskrankenhaus“ errichtet, eine Abteilung des Dr.-Heim-Krankenhauses in Buch: Rund 40 an der Seuche Tuberkulose erkrankte ausländische Patient*innen fanden dort den Tod. Zwangsarbeiter*innen mit medizinischer Erfahrung mussten in der Krankenpflege und als Ärzte arbeiten.
Ab Herbst 1944 bis Kriegsende war das sogenannte „Ausländerkrankenhaus“ eine Abteilung des Bucher Hufeland-Krankenhauses. Es diente explizit als Einrichtung für sogenannte „Absonderungsfälle“: Die Patient*innen, denen nicht mehr geholfen werden sollte, wurden dort isoliert. Es gab ca. 350 Betten, insgesamt waren in dieser Zeit wohl ca. 850 Patient*innen dort untergebracht. In diesen wenigen Monaten starben in der Einrichtung rund 160 Menschen, meist männliche Zwangsarbeiter aus ganz Europa.
Plan des Krankenhauses Blankenburg von 1947 (Landesarchiv Berlin, C Rep. 109, Nr. 824)
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Patient*innen und Personal
Nach einer Woche im Dr.-Heim-Krankenhaus wurde der 20-jährige Jean D. am 2. Juli 1943 in das Hilfskrankenhaus wegen Lungentuberkulose verlegt. Die Ärzte dort schätzten die weitere Liegedauer auf sechs Wochen ein. Ein so langer Aufenthalt sollte Zwangsarbeiter*innen nicht zugestanden werden und so wurde er in die Heimat abtransportiert.
Die 16-jährige Ukrainerin Katharina S. wurde am 27. Juli 1943 mit offener Tuberkulose in der Lungenstation des Krankenhauses Blankenburg untergebracht. Am 21. Oktober 1943 wurde sie in das Neuköllner Hilfskrankenhaus Elbestraße verlegt. Dort verstarb sie am 7. Dezember 1943. In ihrer Krankenakte ist ein vielsagender Vermerk enthalten, der in vielen Krankenakten von Zwangsarbeiter*innen steht: „Patientin ist Ausländerin. Eine Anamnese ist nicht zu erheben.“
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Der 21-jährige André C. wurde am 29. November 1944 nach Blankenburg verlegt. Bemerkenswert ist in diesem Fall, dass die Akte des französischen Patienten im „Ausländerkrankenhaus“ in russischer Sprache geführt wurde. André C. verstarb am 25. Januar 1945 an Lungentuberkulose.
Der 18-jährige „Ostarbeiter“ Iwan L. aus dem heutigen Weißrussland war seit dem 6. Dezember 1943 Zwangsarbeiter bei der Straßenreinigungsanstalt. Von dort kam Iwan L. nach Blankenburg. Ab dem 12. Dezember 1944 sollte er als Hausdiener im sogenannten „Ausländerkrankenhaus“ einen Stundenlohn von 68 Pfennigen erhalten. Wenige Wochen vor Kriegsende, am 6. April 1945, erhielt das Personal nichts mehr zu essen. Iwan L. verweigerte daraufhin seine Arbeit. Der Oberarzt forderte, dass die Gestapo ihn wegen Aufwiegelung der anderen Zwangsarbeiter*innen in ein „Arbeitserziehungslager“ der Gestapo abführte. Ob Iwan L. die letzten Kriegstage noch überlebte, ist nicht bekannt.
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Krankenmord in Blankenburg?
Die NS-Politik praktizierte im letzten Kriegsjahr einen mörderischen Umgang mit arbeitsunfähigen Zwangsarbeiter*innen. Es wurden sowohl Patient*innen, die als „geistig er
krankt“ galten, als auch Tuberkulose-Patient*innen ermordet. Die zentralisierte, systematische Ermordung war im weiteren Kriegsverlauf wegen der schnell herannahenden Front und zunehmenden Versorgungsengpässen nicht wie geplant umsetzbar. Daher wurde dieser Vorgang dezentralisiert. War die Bestimmung von Krankenhäusern für „Absonderungsfälle“ bereits der erste Schritt dazu? Die Patient*innen dort wurden vernachlässigt und kaum richtig ernährt. Aber wurde auch aktiv ermordet? Dies ist bis heute nicht belegt. In Einzelfällen fällt jedoch eine sehr viel kürzere Zeitspanne zwischen Krankmeldung und Tod auf, als bei einem typischen Krankheitsverlauf einer Tuberkulose.