„Ich will noch lange bei Verstand bleiben und selbstständig sein.“
Seit sechs Jahren lebt Marion B. (65) in einer besonderen Wohnform für Menschen mit langjähriger Alkoholabhängigkeit. Im Haus Günsbach hat sie ihr helles Zimmer im dritten Stock gemütlich eingerichtet. In den Vitrinen stehen Figuren von Elfen und Engeln, an den Wänden Familienfotos. Sie strahlt, wenn sie von den abgebildeten Menschen erzählt.
Frau B., hier hängen ja sehr viele Fotos von ihrer Familie, haben Sie viel Kontakt zu ihnen?
„Ich habe noch zwei Brüder und zwei Schwestern, da fahre ich gerne hin, auch zu meiner ältesten Nichte. Und natürlich zu meinen beiden Kindern und sechs Enkelkindern. Manchmal bleibe ich auch über Nacht.“
Das hört sich nach einer großen Familie an.
„Oh ja, ich war das siebte von acht Kindern, ich bin also in einer Großfamilie aufgewachsen. Geboren bin ich im Märkischen Oderland und wir hatten einen großen Bauernhof mit Kühen, Schweinen, Enten, Ziegen und vielem mehr.“
Da gab es bestimmt viel zu tun?
„Davon können Sie ausgehen. Im Sommer hatten wir keine Zeit schwimmen zu gehen. Wir mussten alle mithelfen, auf dem Feld und mit den Tieren, obwohl ich zum Beispiel ein recht zartes Kind war. Ich musste immer die Ziegen melken, das hat mir nicht so gut gefallen und ich kann bis heute keinen Ziegenkäse ertragen. Unsere Eltern waren sehr fleißig, aber sehr lieb und haben immer dafür gesorgt, dass alles da war. Im Winter hatten wir mehr Zeit. Da waren wir Schlittschuhlaufen, haben Karten gespielt und Bratapfel gegessen. Daran erinnere ich mich gerne zurück.“
Seit 2018 sind Sie jetzt in der Stiftung. Wie gefällt es Ihnen hier?
„Ich fühle mich hier sehr wohl. Es gibt immer Mitarbeitende, mit denen man besser kann, als mit anderen, aber alle geben sich sehr viel Mühe. Es ist auch wirklich nicht leicht, mit einer Gruppe von Alkoholiker*innen umzugehen, da müssen einfach Grenzen gesetzt werden.“
Wie sieht Ihr Alltag aus?
„Ich gehe gerne ins TagesZentrum, da kann ich viele verschiedene Sachen machen, wie Gedächtnistraining, Gartenarbeit, Nähen, Kochen oder kreativ arbeiten. Ich fertige zum Beispiel gerade eine Patchwork-Decke an.“
Und was essen Sie am liebsten hier?
„Mein Lieblingsessen sind süßsaure Eier, aber auch Bratkartoffeln. Da ich ja gelernte Köchin bin, koche ich auch viel selbst für mich und andere Bewohner*innen. Wir gehen ja auch selbst einkaufen, da war neulich Blumenkohl im Angebot, den habe ich dann an einem Tag mit Semmelbröseln und Butter und am anderen Tag als Suppe serviert. Frühstück und Abendbrot richten wir selbst an, ich komme aus einer Großfamilie, da muss mir niemand was zeigen. Das Mittagessen hole ich mir meistens im Haus Berlin in der Kantine, das ist wirklich sehr lecker da, da gibt es nichts zu meckern.“
Das alles hört sich so an, als seien Sie ein sehr aktiver Mensch.
„Oh ja das bin ich. Wenn ich Zeit habe, fahre ich gerne zum Alexanderplatz und mische mich unters Volk. Im Sommer gehe ich sehr gerne schwimmen im See, zum Beispiel in Wandlitz oder Mönchsmühle. Außerdem bin ich begeistert von Encaustik, da malt man mit einem Maleisen, das wie ein Bügeleisen aussieht und einem Lötkolben mit so einer Art Wachsstiften. Außerdem sammle ich mit großer Begeisterung Statuen, die Engel und Elfen darstellen.“
Was wünschen Sie sich für Ihre Zukunft?
„Ich will noch lange bei Verstand und selbstständig sein. Bisher gelingt mir das ganz gut. Ich kann mich frei bewegen, alleine Ausflüge machen, meine Verwandten besuchen. Ich mache allein mein Zimmer sauber, führe meine Arztbesuche selbst aus. Das ist es, was ich mir weiterhin wünsche.“