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Zeitzeugen weihen Gedenkstätte für Opfer der Zwangsarbeit ein

Albert Schweitzer Stiftung – Wohnen & Betreuen erinnert an dunkle Geschichte des Hauptstandorts

Feierliche Einweihung Gedenkstelen

(v.l.n.r.): Jakub Deka, Maria Stroinska, Hagen Kühne, Jörg Schwarzer, Bogdan Bartnikowski, Dr. Cordelia Koch

 

Jetzt die Höhepunkte der Veranstaltung auf dem YouTube-Channel der Stiftung anschauen

Auf dem Gelände der Albert Schweitzer Stiftung – Wohnen & Betreuen in Berlin-Blankenburg wurde am 20. Mai 2022 mit einem feierlichen Akt ein Ort des Gedenkens eingeweiht. Bei frühsommerlichen Temperaturen gedachten die Teilnehmer*innen, unter ihnen Nutzer*innen, Mitarbeiter*innen, Vertreter*innen des Blankenburger Runden Tischs, des Vorstands, der Bezirksverordnetenversammlung, des Bezirksamt und der Seniorenvertretung Pankow, der rund 4.000 Zwangsarbeiter*innen, die während der Diktatur des Nationalsozialismus unter widrigsten Umständen in einem Wohnlager und in einem sogenannten „Ausländerkrankenhaus“ auf dem heutigen Hauptstandort der Stiftung untergebracht waren. Viele von ihnen starben durch Willkür und bewusste Vernachlässigung an Schwäche oder schweren Infektionskrankheiten.

Die beiden Gedenkstelen

Um die Erinnerung an diese Opfer wach zu halten, errichtete die Stiftung zwei Gedenk-Stelen, die über diese dunkle Zeit zusätzlich in Leichter Sprache informieren. Auf ausziehbaren Tafeln können sich Interessierte auch ein Bild über Einzelschicksale machen: Zum Beispiel über den Zwangsarbeiter Bogdan Bartnikowski, der als Kind nach dem Warschauer Aufstand zunächst nach Auschwitz deportiert wurde und in den letzten Monaten vor Kriegsende in Blankenburg untergebracht und zur Zwangsarbeit gezwungen wurde. Er und eine weitere Zeitzeugin, Maria Stroińska, waren auf Einladung der Stiftung als Ehrengäste aus Warschau angereist und enthüllten die beiden Stelen feierlich, die Vertreter*innen der Bewohnerbeiräte der Stiftung legten Blumen nieder. „Ich bin wirklich froh, wieder hier zu sein und beobachten zu können, dass an dem Ort, wo früher ein Wohnlager war, in dem viele Menschen gelitten haben, nun ein Ort ist, an dem man leidenden oder kranken Menschen hilft und sie betreut“, so Herr Bartnikowski bei seiner eindrucksvollen Rede.

Herr Schwarzer bei seiner Eröffnungsrede

Geschäftsführer Jörg Schwarzer zeigte sich bewegt darüber, dass die beiden Zeitzeugen der Einladung der Stiftung gefolgt sind: „Beide arbeiten trotz ihres fortgeschrittenen Alters unermüdlich dafür, dass auch die nachfolgenden Generationen ein lebendiges Gedenken entwickeln können, ihre Fragen stellen und die Lehren der Geschichte verinnerlichen können. Das ist, im Angesicht des schrecklichen Kriegs in der Ukraine, aktueller und wertvoller denn je.“ Er hob die Bedeutung des Erinnerns gerade für die Opfer von Zwangsarbeit hervor: „Zwangsarbeit im Nationalsozialismus fand lange nicht den ihren Opfern gebührenden Platz in der deutschen Erinnerungskultur.“

Die Vorstandsvorsitzende der Stiftung, Dr. Cordelia Koch, würdigte das Konzept der Gedenk-Stelen des Erinnerns anhand von Einzelschicksalen: „Der gewählte Ansatz Geschichte, Leid, Trauer, Ohnmacht durch Einzelschicksale erlebbar zu machen, hat mich berührt. Erinnern ist mehr als Zahlen aufzurufen und zu präsentieren. Erinnern braucht Identifikation mit dem einzelnen menschlichen Schicksal“, so Dr. Koch. Diese stete Erinnerung sei insbesondere bedeutsam dafür, auch heute noch diese Welt vor menschenfeindlichen Ideologien und Diktaturen zu schützen.

Für das Gedenken im Hier und Jetzt gerade bei nachfolgenden Generationen in Blankenburg engagiert sich seit Jahren der Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Berlin-Blankenburg Hagen Kühne mit dem Projekt „Krieg-Gewalt-Unrecht“ mit der Klassenstufe 4 der Grundschule „Unter den Bäumen“: „Wir brauchen Kinder, die ein Gewissen haben und auf diese innere Stimme hören können.“ Diktaturen aller Art erkenne man daran, dass sie keine Achtung haben vor dieser inneren Stimme, dem Gewissen.

Dr. Christine Glauning

 

Die Leiterin des NS-Dokumentationszentrums für Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide, Frau Dr. Christine Glauning, schilderte das Ausmaß der Zwangsarbeit allein in Berlin mit mindestens 3.000 Sammellagern und 500.000 Zwangsarbeiter*innen, die in allen Branchen von der Rüstungsindustrie über das Handwerk, der Kirche bis hin zu Privathaushalten zur Arbeit gezwungen wurden. Sie ging auch auf das menschenverachtende System der sogenannten „Ausländerkrankenhäuser“ ein, von denen sich eines am heutigen Hauptstandort der Stiftung befand: „Über 1.000 Zwangsarbeiter*innen mit schweren Infektionskrankheiten wie Tuberkulose waren hier untergebracht. Rund 200 von ihnen starben – auch weil sie medizinisch nicht versorgt wurden, weil Ärzte und Pflegepersonal ihren ureigenen Auftrag zu helfen nicht wahrnahmen.“ Es sei auch deshalb schwer fassbar, dass Zwangsarbeit erst seit den 1990er Jahren als NS-Verbrechen anerkannt und erst im Jahr 2000 eine späte Regelung für eine „Entschädigung“ getroffen wurde. Mittlerweile gebe es jedoch bereits eine ganze Reihe von Initiativen in Berlin an konkreten historischen Orten, in die sich dieser neue Gedenkort nun einreihe.

Eine begleitende Broschüre und weitere Informationen auch in Leichter Sprache sind hier abrufbar.